Die Großstadt ist ein Sumpf. Ihre Bewohner leben zwar in einer Masse, aber doch jeder für sich allein. Das ist eigentlich auch der Grundtenor, der sich durch die Filme des Independent-Regisseurs Wong Kar-Wai zu ziehen scheint. Mit seiner düsteren Bildsprache, der Vermischung von verschiedenen Genres (z.B Komödie, Drama und Gangsterfilm) wird er oft sogar als der „chinesische Tarantino“ bezeichnet – auch wenn letzterer Aspekt wahrlich kein Grund für mich war, mich näher mit seinem Werk auseinander zu setzen. Denn ich halte Tarantino ehrlich gesagt für einen der am meisten überschätzten modernen Regisseure – Kult hin oder her! (Sorry, liebe Tarantino-Vergötter! Aber ich kann mit den filmischen Gewaltfantasien dieses Herren einfach nichts anfangen. Protest nehme ich aber gerne als Kommentar entgegen ;))
Der Grund, warum Wong Kar-Wai aber so oft mit ihm verglichen wird, liegt sicher an der Art und Weise, wie Gewaltszenen gestaltet werden. Denn eines muss man beiden Regisseuren lassen: sie wissen, wie man die noch so blutige Schießerei doch ästhetisch präsentieren kann (so etwa in „Fallen Angels“ oder dem oft dafür gelobten „Kill Bill“). Auch die Einbindung von leitmotivartigen Musikeinlagen, die der erzählten Handlung zu einer ganz speziellen Atmosphäre verhelfen, ist ein wichtiges Element im Werk beider Filmemacher.
Auf Wong Kar-Wai bin ich in erster Linie aber durch seine späteren Filme aufmerksam geworden. Vor allem der melancholisch angehauchte „In the Mood for Love“ und der arg kryptische, aber auf jeden Fall sehenswerte Nachfolger „2046“ haben mich von seinem Talent überzeugt. Der letzte Film „My Blueberry Nights“ (mit einer schauspielernden Norah Jones) war zwar wiederum enttäuschend, aber was soll’s: Als ich bei Amazon auf die schicke DVD-Box von Arthaus stieß, konnte ich nicht anders, als zuzuschlagen! 9,99 Euro war aber auch wirklich ein einfach zu verführerischer Preis (wenn man bedenkt, was man sonst teilweise dafür bekommen kann ;)) Ich konnte es natürlich kaum erwarten, mich von Wong Kar-Wais Filmkunst berieseln zu lassen. Folgende zwei Werke habe ich mir zu Gemüte geführt:
Chungking Express (1994)
In „Chungking Express” werden die unglücklichen Romanzen zweier Polizisten beleuchtet. Polizist 223 hat schwer mit der Trennung von seiner Freundin zu kämpfen, kommt auf äußerst seltsame Ideen (ich sag nur: 30 Dosen mit Ananas essen…), scheint in einer sonderbaren Nacht in der pulsierenden Großstadt Hongkong vielleicht aber doch noch eine Verbündete zu finden…
Auch Polizist 663 wurde verlassen. Tagtäglich besucht er seinen Lieblingsimbiss, um Chefsalat zu essen. Schon bald hat die hübsche Mitarbeiterin des Imbisses ein Auge auf ihn geworfen und beginnt sich auf sehr skurrile Art und Weise in sein Leben einzumischen…
Beide Episoden werden unabhängig voneinander erzählt. Die erste Episode wird als eine Art Prolog gewählt, um die zweite Episode daraufhin noch weitaus ausführlicher darzustellen. Melancholisch, poetisch und irgendwie eigenartig wirkt das Erzählte. Unterlegt ist der Film, wie immer bei Wong Kar-Wai mit leitmotivartiger Musikuntermalung und beeindruckenden Großstadtbildern. Ein herzerwärmender, bizarrer, aber auch hoffnungsvoller Film, den man sich sicher immer wieder angucken kann!
Fallen Angels (1995)
„Fallen Angels“ schließlich knüpft gewissermaßen an den Vorgängerfilm “Chungking Expresss” an. Zwar sind die Figuren andere, dennoch gibt es zahlreiche Anspielungen (Ananasdosen, bestimmte Orte wie die futuristische Bahnhofshalle oder die leere McDonalds-Filiale…und so weiter!) Es lohnt sich daher echt, die beiden Filme möglichst zeitnah hintereinander zu schauen. Detailverliebte Filmfans haben da auf jeden Fall ihre Freude!
Inhaltlich bewegt sich „Fallen Angels“ eher im Gangsterfilm-Genre. Geschildert wird das Leben von vier Figuren. Zum einen ist da der gleichgültige Profikiller, der zunehmend beginnt, über seinen Beruf nachzudenken und Zweifel zu hegen. Seine Komplizin wiederum hat Gefühle für ihn entwickelt, die jedoch von ihm nicht erwidert werden.
Auch der stumme Ho Chi Mo lässt sich durch die düsteren Hongkonger Nächte treiben, bricht in Geschäfte ein und macht sich Späße mit den Kunden, die nachts bei ihm einkaufen wollen. Eines Nachts trifft er schließlich eine scheinbare Seelenverwandte, doch ob das gut gehen kann?
„Fallen Angels“ mag von der Bildgestaltung zwar noch um einiges experimenteller als „Chungking Express“ sein, schildert aber wieder eines von Wong Kar-Wais Lieblingsthemen: Menschliche Einsamkeit. Jede Figur im Film ist verzweifelt auf der Suche nach Vertrautheit und Nähe. Und oft findet jeder sie nur in einem kurzen Moment: in einem kurzen Blickkontakt mit einem Fremden in einer Bar. Bei einer flüchtigen Begegnung in einer düsteren U-Bahn-Station, bei der zwei Frauen erkennen, dass sie das gleiche Parfüm tragen. Oder auf einer Mopedfahrt durch die nächtlich-pulsierende Großstadt, bei der ein wildfremder Mann einer Unbekannten für einen kurzen Augenblick ein Gefühl von Geborgenheit gibt…
Fazit: Für Neueinsteiger, aber auch für wahre Wong Kar-Wai-Filmfans, bietet die Box auf jeden Fall eine gelungene Auswahl. Der Preis ist unschlagbar, vor allem da die Box nicht nur durch eine schöne Aufmachung, sondern auch durch Extras (etwa ein Audiokommentar von Tarantino) punkten kann. Wong Kar-Wais Filme überzeugen durch eine gewaltige Bildsprache, durch die berührende Schilderung zwischenmenschlicher Beziehungen und nicht zuletzt durch eine geniale Musikauswahl. Somit: Eine Investition, die sich lohnt!
PS: Der dritte Film auf der Box „Happy Together“ wartet noch auf seine Sichtung. Aber ich freu mich schon drauf! 😉