Was gibt es Schöneres als an einem blauen Montag in aller Ruhe ins Museum zu gehen? So machte ich mich an meinem freien Tag auf in den Martin-Gropius-Bau, wo derzeit die Retrospektive von Germaine Krull zu sehen ist. Germaine Krull zählt zu den einflussreichsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Vor allem in den 1920er und 30er Jahren sorgten sie mit ihren innovativen Fotoideen in der Kunstwelt für Furore. Ihr künstlerisches Schaffen lässt sich in dieser Zeit klar der Strömung des sog. Neuen Sehens zurechnen: Dies war eine ästhetische Bewegung, die festgefahrene Strukturen in Bezug auf Komposition, Beleuchtung bzw. Belichtung der Fotografie auflockern und stattdessen neue Sichtweisen auf die Wirklichkeit etablieren wollte.
In Germaine Krulls Werk merkt man diesen Anspruch vor allem in ihren Pariser Fotografien. Soll das der Eiffelturm sein? Soll dieses Foto die berühmten Markthallen Les Halles darstellen? Als Betrachter ist man immer wieder überrascht, wie Krull weltbekannte Sehenswürdigkeiten mit ihrer Kamera einfängt und ist beeindruckt, wie sie es schafft selbst banale und alltägliche Motive und Sujets durch aufregende Perspektiven ins rechte Bild zu rücken. In ihrer Pariser Zeit wurde sie vor allem durch ihre Fotografien von technischen Bauwerken und Industrieanlagen bekannt. Zugleich verstand sie sich selbst als Fotoreporterin, die den Alltag um sich herum mit scharfem Blick beobachtete und in eindrucksvollen Bildserien wie ihrer Clochards-Serie festhielt. In dieser dokumentierte sie das alltägliche Elend der Pariser Obdachlosen zwischen Nôtre Dame und Pont Neuf – und erntete mit diesem damals anstößigen Sujet sicher nicht nur Beifall.
Ob frühe Aktfotografie, Mode- und Werbefotografie oder ihre Werke aus ihrer Zeit als Kriegskorrespondentin – die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau wirft einen umfangreichen Blick in das Werk der Künstlerin und zeigt ein breites Spektrum an Themen. Germaine Krull, das wird einem bei diesem Streifzug durch ihre Werke immer klarer, war eine sehr starke und mutige Persönlichkeit. Dies beweist nicht nur ihr überaus kurviger Lebenslauf, der sie bis nach Indochina führte, sondern auch die Konsequenz, mit der sie sich in ihrer Fotokunst über engstirnige Konventionen und moralische Normen ihrer Zeit hinwegsetzte. Eine wirklich faszinierende Fotografin, vor der man nur den Hut ziehen kann.
Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Mittwoch bis Montag: 10:00–19:00, Dienstag geschlossen
Noch bis zum 31. Januar 2016
4 KOMMENTARE
Danke für den Tipp! Vielleicht schaffe ich es ja mal wieder nach Berlin…. Ich möchte auch in die Botticelli-Renaissance-Ausstellung…
Gerne 🙂
Ja, die Botticelli-Ausstellung ist bestimmt auch ein echtes Highlight.
LG
Deborah
danke für deinen einblick liebe deborah – meine erste begegnung mit den fotografien von germaine krull war 2011 in der pinakothek der moderne in münchen, aus der stiftung ann und jürgen wilde – war auch ganz angetan. herzliche grüße, daniela
Sehr gerne. Danke für den Kommentar. 🙂
Ich bin Krull schon letztes Jahr in einem Fotografie-Seminar begegnet. War zum Thema “Paris im Fotobuch”. Schon da hat sie mich fasziniert.
LG Deborah