Viel ist schon geschrieben und diskutiert worden über Houellebecqs „Unterwerfung“. Schwierig, sich da einzureihen. Doch einen Versuch ist es wert. In dieser Rezension möchte ich daher einfach mal drauflos schreiben, was mich persönlich an Houellebecqs Roman fasziniert hat.
Ist Houellebecq ein Prophet? Diese Frage drängt sich geradezu auf, wenn man „Unterwerfung“ liest und dabei an die jüngst verübten Anschläge in Paris denkt. Denn auch hier spielen bereits zu Beginn der Erzählung bürgerkriegsartige Zustände eine tragende Rolle: Die politische Situation wird als verquast und unübersichtlich beschrieben, denn weder die Sozialisten, noch der rechtspopulistische Front National noch die Bruderschaft der Muslime (ja, der Roman spielt im Jahr 2022) können eine klare demokratische Mehrheit für sich gewinnen. Im Laufe des Romans kristallisiert sich jedoch immer mehr ein neues gesellschaftliches Modell heraus, an dessen Spitze die Maximen des Islam stehen: das Patriarchat wird in Frankreich neu etabliert. Der Islam wird die dominierende Religion Westeuropas und setzt sich konsequent über westliche Werte und Normen hinweg.
“Unterwerfung” von Michel Houellebecq: Gesellschaftsroman mit intellektueller Tiefe
Diese politische Ebene des Romans wird auf sehr kunstvolle Weise mit der Geschichte eines Einzelnen verwoben. Bei Houellebecq handelt es sich hierbei ohne Frage um einen sehr genauen Beobachter seiner Zeit. Nicht nur in politischen Belangen merkt man sein enorm großes Hintergrundwissen, auch die vielen Details seines Romans sind gut recherchiert und eröffnen dem Leser einen tiefgründigen Einblick sowohl in die Kultur-, Literatur- und Geistesgeschichte, als auch in die private Gedankenwelt eines recht durchschnittlichen Bürgers aus dem akademischen Milieu.
Scharfe Kritik an der akademischen Welt und dem französischen Bildungssystem
Hauptfigur Francois forscht schon seit Jahren über den berühmten dekadenten Schriftsteller Joris-Karl Huysmans und treibt seine akademische Karriere an der Pariser Elite-Uni Sorbonne eher aus Mangel an Alternativen als aus wirklich tiefer Begeisterung für die Lehre voran. Die elitäre Uni-Welt bekommt im Roman mehr als einmal ordentlich ihr Fett weg: Oft werden nicht die fähigsten Dozenten befördert, sondern die, die über die richtigen intimen Kontakte zu (weiblichen oder männlichen) Vorgesetzten verfügen. Und nach dem Studium bleiben einem Absolventen eines schöngeistigen Faches wie Literaturwissenschaften oder Philosophie nur wenig attraktive Job-Aussichten. Wirklich ein düsterer und überaus pessimistischer Blick, mit dem Houellebecq hier das französische Bildungssystem betrachtet.
Houellebecqs Gesellschaftkritik ist, wie bereits in anderen Romanen wie “Elementarteilchen” oder “Serotonin” eng mit der Entwicklung seiner Hauptfigur verbunden. Literaturdozent Francois hat eigentlich alles, was er nach Vorstellungen der modernen Konsumgesellschaft haben müsste, um einigermaßen glücklich zu sein: einen soliden Job an der Uni, genug Geld, um sich Lieferservice, Urlaube und andere Annehmlichkeiten zu leisten – und doch ist er zutiefst unglücklich. Statt sich zu fragen, was er wirklich im Leben erreichen möchte, statt sich damit auseinander zu setzen, was der Grund für seine innere Leere und emotionale Gefühlslosigkeit sein könnte, entscheidet sich Francoise für den einfachsten Weg, forscht und lehrt weiter vor sich hin, geht lose Beziehungen zu jungen Studentinnen ein und betäubt seine Einsamkeit mit Alkohol.
Houellebecqs Anti-Held auf der Suche nach Sinn
Nein, Francois ist durch seine Handlungsweise kein Sympathieträger, aber durch seine Fehler doch zutiefst menschlich. Auch aus diesem Grund möchte man als Leser zu gern wissen, wie dieser seinen weiteren Lebensweg beschreiten wird. Houellebecqs Roman ist meiner Meinung nach vor allem ein Buch über die Suche nach Sinn: Seine Hauptfigur begibt sich im Laufe der Handlung nicht nur auf die Spuren seines Idols Huysmans, um endlich aus dem Kreislauf aus innerer Unzufriedenheit, depressiven Verstimmungen und unbefriedigender Arbeit auszubrechen. Am Ende geht er – wie fast schon zu erwarten war – schließlich (vermutlich) auch der neu etablierten Staatsreligion des Islam auf den Leim. Denn hier kann er seine individuellen Bedürfnisse erfüllen: gesellschaftliches Ansehen, ein überdurchnittliches Gehalt und drei bis vier persönlich für ihn ausgewählte Ehefrauen inklusive.
Michel Houellebecqs “Unterwerfung” – düstere Dystopie einer modernen Gesellschaft
Allein schon diese Wendung ist eine gut gelungene Pointe, die ein bitteres Porträt einer (zukünftigen) Gesellschaft zeichnet, der es eigentlich im Grunde gar nicht auf den Glauben ankommt, sondern die Religion lediglich dazu nutzt, um persönliche Vorteile zu erlangen. Die konservative Haltung des Islams gegenüber der Rolle der Frau, die propagierte Polygamie und viele weitere Richtlinien werden von charismatischen Männern wie dem neuen Universitätspräsidenten Robert Rediger nur zu gerne akzeptiert. In Wahrheit handelt es sich bei diesen zum Islam konvertierten Romanfiguren um ehemalige Anhänger der politischen Rechten, um Menschen ohne tiefe Überzeugungen, die ihr Fähnchen nach dem Wind drehen und wenig Rückgrat besitzen. Macht und Geld sind letztendlich die beiden Hauptmotive, die sie antreiben.
Der Roman “Unterwerfung” – lohnt sich die Lektüre?
Gerade durch die unzähligen Verweise auf Politik, Literatur, Philosophie und Gesellschaftsfragen ist Houellebecqs Roman auf jeden Fall eine sehr fordernde Lektüre – aber genau das hat mir auch gefallen. Wenn man sich einmal auf dieses gut durchdachte und intelligente Gedankenspiel eingelassen hat, möchte man dieses vielschichtige Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Houellebecq wirft Fragen auf, die man sich teilweise noch gar nicht gestellt hatte, regt zum Nachdenken an und ist hierbei wahnsinnig aktuell, weil er die Themen, Ängste und politischen Belange der heutigen Zeit pointiert aufgreift und zur Debatte stellt. Dieser Roman stand wirklich mal zu Recht für Wochen auf der Bestsellerliste!
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9 KOMMENTARE
Hallo Deborah! Mal ein neuer Kommunikationskanal! Aber da Du hier das neueste Buch einer meiner Lieblingsautoren besprichst halt ich das für angemessen 🙂
Wegen der gerade in den früheren Romanen doch pikanteren Inhalten muss man mit solchen Aussagen aber ja schon vorsichtig sein. Die vielen Skandale Grabenkriege mit den Medien und das Infant-terrible-Image lenken stark von dem ab, dass Michel Houellebecq ein sehr sensibler Beobachter und verletzlicher Mensch ist, der nicht Grundlos für Jahre vom Radar verschwindet.
Meine Empfehlungen sind “Karte und Gebiet”, das stilistisch gesehen “Unterwerfung” am ähnlichsten ist, und Houellebecqs Durchbruchsroman “Elementarteilchen”. Meine Lieblinge sind “Karte und Gebiet” und “Plattform”. Zweitens ist aber glaube ich eher für spätere Leseerfahrungen.
Das Hauptthema, dass sich als roter Faden durch alle Houellebecqs Romane zieht, hast Du bereits genannt. Jeden seiner Protagonisten setzt Houellebecq in den Kontext eines übergeordneten Geflechts. Jedes dieser Geflechte stellt eine mögliche Antwort auf die Frage nach dem Sinn des menschlichen Daseins und gleichzeitig einen Ausweg aus dem Leidensdruck den das Individuum in dieser menschlichen Gesellschaft erfährt, dar. Das ist in “Unterwerfung” die Religion, in seinen anderen Romanen die Kunst, die Wissenschaft, die Wirtschaft.
Die Bücher sind als “Thesenromane” und damit als grundlegend zweitklassig beschimpft worden. Ich selber denke nicht, dass Houellebecq wirklich vorgefertigte Thesen belegen will. Für mich stellt jeder seiner “Thesen” seine Antwort auf die Frage dar, ob Kunst, Religion, Wissenschaft usw. ein Ausweg für ihn sein könnten und jeder seiner Romane ist das Ergebnis der Recherchearbeit, die für die Beantwortung dieser Frage nötig war.
Ich bin gespannt auf Deine Leseerlebnisse!
Lieber Lars,
danke für deinen ausführlichen Kommentar. Wie gesagt, das Angebot, hier im Blog einen Gastartikel zu schreiben, steht immer noch. 😉
Dass mit dem “Skandalautor” würde ich jetzt auch nicht so unterschreiben. Klar, man hat schon das Gefühl, dass sich Houellebecq natürlich auf aktuelle politische Debatten beruft, aber nicht in dem Maße, dass er sich jetzt dem rechten Lager oder den anti-islamischen Tendenzen anschließen würde. (In der Presse wurde er ja teilweise als Nazi oder Islamhasser..o.ä. beschimpft.) Stattdessen beobachtet er wie gesagt alles ganz genau und stellt sein Gedankenspiel bzw. seine “Thesen” zur Diskussion. Klar, die teilweise sehr expliziten Sex-Szenen sollen natürlich provozieren – ich fand aber auch, dass sie teilweise eher dazu dienten, die Hauptfigur noch besser zu charakterisieren (ihre Gefühlskälte, Einsamkeit und Unfähigkeit tiefe Beziehungen einzugehen)
Danke für die Lesetipps. “Elementarteilchen” kenn ich schon als Verfilmung und kommt sicher als erstes dran. Bei “Karte und Gebiet” hatte ich neulich im Buchladen reingelesen, hat mich bisher aber irgendwie nicht so reingezogen. Vielleicht probier ich es nochmal. 😉
Schönes Wochenende und liebe Grüße,
Deborah
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