Friedrichshain-Kreuzberg ist der absolute Hotspot für kreative und ausgefallene Street-Art und Graffiti. Nirgendo sonst in Berlin lässt sich eine solche Vielfalt entdecken wie hier. Tobi von Berlin Kultour bietet bereits seit einer Weile kleine individuelle Stadttouren zu kulturellen Themen an. Da ich mich schon länger für Street-Art interessiere, nehme ich seine Einladung, als Bloggerin an seiner Tour teilzunehmen, gerne an. Meine persönlichen Highlights der Street-Art-Tour in Berlin-Kreuzberg lest Ihr jetzt hier!
Kaisers an der Warschauer Straße. Es geht los! Nachdem ich Tobi und die zweite Teilnehmerin der Tour gefunden habe (ich habe wohl lange genug suchend in der Gegend umhergeschaut, um als Tourteilnehmerin erkannt zu werden ;)), stolpern wir nach wenigen Metern auch schon über das erste Gemälde – das Werk “Swiss Knife” des Schweizer Street-Art-Kollektivs One Truth. Als Halbschweizerin freue ich mich natürlich sehr über einen solchen Auftakt der Tour 😉
Nur ein paar Straßen weiter liegt das RAW-Gelände, das zwar in letzter Zeit vor allem mit Negativ-Schlagzeilen aufgefallen ist (Gewalt und Drogen), ansonsten aber eine große Dichte an kreativer Streetart und hippen Veranstaltungen (z.B. Streetfood-Markt in der Neuen Heimat) bietet. Die Location mit abgeranztem Lagerhallen-Charme hat was – das beweisen auch die vielen Street Art Bilder und Graffitis, die Ihr hier an jeder Ecke bestaunen könnt:
Tobi erläutert ausführlich einzelne Bilder, geht gleichzeitig aber auch auf aktuelle politische Entwicklungen ein: So wurde das RAW-Gelände letztes Jahr neuen Eigentümern übergeben, die zwar versprochen haben den Mix aus Kultur, Clubszene, Gastronomie und Sport zu erhalten – doch es bleibt abzuwarten, inwieweit dieses Konzept wirklich durchgesetzt werden wird. Wie so oft in Berlin dreht sich alles um ein großes Thema – die drohende Gentrifizierung von ganzen Stadtquartieren.
Wieder zurück auf der Straße zeigt uns Tobi noch zwei Motive, die mir nicht nur in Berlin, sondern auch in vielen anderen deutschen Städten wie zum Beispiel Hamburg oder Köln schon öfter aufgefallen sind: El Bochos Little Lucy und die sogenannten Confetti Dancer des französischen Künstlers Sobre.
In einem Buch, das Tobi mit dabei hat, können wir auch gleich noch ein anderes tolles Werk von El Bocho betrachten: Für eines seiner Projekte schmückte er das marode Stadtbad Wedding vor einigen Jahren mit einem aufwendigen Tape-Art-Gemälde.
Weiter geht’s Richtung Oberbaumbrücke. Hier stoßen wir zuerst auf eine echte Perle der Kreuzberger Street Art – ein Werk einer der wenigen Street-Art-Künstlerinnen. Die Street-Art-Szene ist nach wie vor sehr männerdominiert, wie Tobi schließlich ausführlich erläutert. Schön an diesem Gemälde ist auch, dass die italienische Künstlerin Alicé die Umgebung in ihr Werk einbezieht. So fügen sich die Paletten und auch die Bäume drumherum einfach perfekt in ihr Werk ein:
In einem kleinen Exkurs geht Tobi auf kommerzielle Street Art ein, bei der Künstler in der Regel von großen Firmen beauftragt werden. Ein gutes Beispiel ist das Dare-Devil-Gemälde unweit der East Side Gallery, das von Netflix in Auftrag gegeben wurde:
Je mehr wir Richtung Cuvry-Kiez laufen, wird mir die kritische Komponente von Street-Art bewusst, die immer wieder in die Werke der Künstler miteinfließt. So stehen wir etwa eine ganze Weile vor dem Bild “Pink Man” von Blu, das auf die mythologische Leviathan-Figur verweist. Das Bild setzt sich aus dem Oberkörper eines Riesen zusammen, der aus Hunderten kleinen nackten sich umklammernden Menschen besteht. Ein einziges Individuum, symbolisiert durch eine weiße Menschenfigur, ist im Begriff vom Riesen verschlungen zu werden. Im übertragenen Sinne kann das Gemälde etwa so gedeutet werden, dass die Massenkultur die individuelle Entfaltung eines Menschen nicht mehr zulässt. Das Individuum wird im wahrsten Sinne des Wortes unterdrückt und schließlich von der Masse einverleibt.
Dann gelangen wir schließlich zu einem der berühmtesten Street-Art-Spots Berlins, der Cuvry-Brache. Diese sorgte vor einigen Jahren vor allem für Aufsehen, da der italienische Künstler Blu sein eigenes Gemälde in einer Nacht-und-Nebel-Aktion schwarz übermalte: Als Protest gegen die Kommerzialisierung, denn auf der Cuvry-Brache sollten ursprünglich Luxus-Apartments gebaut werden. Blu selbst wollte mit seinem ikonischen Gemälde nicht Teil dieser Entwicklung sein und entschied sich wohl vor allem aus diesem Grund für die Zerstörung seines eigenen Werks. Unterdessen sind die Investoren abgesprungen und die weitere Nutzung des Geländes bleibt vorerst offen. Auf die Fläche des ehemaligen Gemäldes haben andere Künstler eine sehr eindeutige Geste gemalt – einen Stinkefinger.
Es bleibt spannend, wie die Brache in Zukunft genutzt werden wird. Aber wie das in Berlin ja oft so ist, kann es sich wohl nur noch um Jahre handeln bis eine endgültige Entscheidung über die Nutzung getroffen wird 😉
Früher:
Jetzt:
Mir selbst wurde auf unserem Spaziergang der große Wandel dieses Kiezes bewusst, als ich sah, wie die Dichte an hippen Kaffeeläden, kleinen Boutiquen und Bio-Läden mittlerweile zugenommen hatte. Ich kann mich noch genau erinnern, dass die Geschäfte vor einer Weile noch etwas normaler und bodenständiger waren, als ich vor ein paar Jahren ein Praktikum in der Wrangelstaße gemacht habe und jeden Tag durch diese bunte Gegend schlenderte. Gleichzeitig macht es jedoch auch Hoffnung, dass sich kulturelle Institutionen wie der Club Lido nach wie vor im Kiez halten können und bisher noch nicht weichen mussten. Gentrifizierung, ein Thema, das gerade den Kiez rund um die Cuvrystraße wohl noch länger beschäftigen wird…
Am U-Bahnhof Schlesisches Tor biegen wir schließlich in die Köpenicker Straße ein, wo uns Tobi erneut auf die enorme Vielfalt an Street-Art-Formen aufmerksam macht. Ob Pieces, die mit dem Feuerlöscher gemalt wurden oder gesellschaftskritische Gemälde, in denen Stücke der Berliner Mauer zu Euro-Geldscheinen werden: Es ist echt spannend zu sehen, wie jeder Künstler seinen eigenen unverwechselbaren Stil entwickelt.
Unsere Tour neigt sich so langsam dem Ende zu. Schließlich laufen wir noch zu einigen weiteren bekannten Gemälden rund um die Oranienstraße und den Görlitzer Bahnhof:
Vor allem Victor Ashs Astronaut/Cosmonaut ist aus Kreuzberg kaum mehr wegzudenken. Cooler Fun-Fact, den uns Tobi zum Abschluss noch verrät: Wenn man zu einer bestimmten Zeit kurz vor Sonnenuntergang hier ist, sieht es so aus, als würde der Astronaut/Kosmonaut eine Fahne in der Hand halten. Dann zeichnet sich nämlich der Schatten einer Fahnenstange vom Autohaus gegenüber auf der Hauswand ab. Witzig…muss ich mir unbedingt bald mal ansehen. 🙂
Ein spannender Nachmittag geht zuende. Die drei Stunden sind wie im Fluge vergangen und Tobi ist wirklich ein sehr kompetenter Guide, der nicht nur sehr viel über die Stadtgeschichte Berlins weiß, sondern auch bestens über die Szene und aktuelle politische Entwicklungen in Friedrichshain-Kreuzberg informiert ist. Hat echt Spaß gemacht.
Allen, die jetzt neugierig geworden sind, kann ich nur empfehlen, an einer von Tobis Touren teilzunehmen. Ich für meinen Teil werde in Zukunft sicher noch aufmerksamer durch Berlins Straßen gehen und nach kreativen Motiven Ausschau halten. Auch wer auf der Suche nach einem kreativen Geschenk ist, kann eine Street-Art-Tour in Berlin-Kreuzberg gerne auch als Gutschein verschenken.
Berlin Kultour – Street-Art-Tour in Berlin-Kreuzberg
Dauer: 3h, Preis: 10 € pro Person
Anmeldung unter: tobi@berlinkultour.de
4 KOMMENTARE
Ein toller Bericht mit vielen spannenden Fotos. War selbst vor ein paar Wochen in Berlin und habe viel Streetart fotografiert, aber leider keine Tour gebucht.
Danke 🙂 Ja, Berlin hat wirklich eine sehr lebendige Street Art Szene. War spannend mal ganz gezielt zu einigen “Hauptwerken” hinzulaufen und mehr über die Hintergründe zu erfahren. Sonst fällt mir Street Art ja doch eher zufällig ins Auge.
LG
Deborah
[…] hab im Sommer bei einer von Tobis Street-Art-Führungen mitgemacht und kann sagen: Es lohnt sich. Hier konntet Ihr meinen Bericht lesen. Seit ich auf einer 3-stündigen Tour durch Friedrichhain-Kreuzberg all die kleinen und großen […]
[…] positiv überrascht, wie viele Werke man beim Schlendern durch die Straßen entdeckt. Da ist ja Berlin-Kreuzberg noch gar nichts dagegen! Athen wirkt an einigen Stellen – wenn man mal ehrlich ist – […]