Ernst Ludwig Kirchner – da dachte ich als Erstes bisher immer an recht düstere Großstadtbilder, die häufig auch in Geschichtsbüchern immer dann herangeführt werden, wenn die Umbruchszeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts verdeutlicht werden soll. Mit dem Besuch der Kirchner-Ausstellung im Kunsthaus Zürich “Großstadtrausch/Naturidyll: Kirchner – Die Berliner Jahre” musste ich dieses Vorurteil jetzt jedoch revidieren. Hier werden rund 160 Werke des “Meisters des Expressionismus” gezeigt, darunter auch unzählige Gemälde die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Schön, wenn einen so ein bekannter Maler noch überraschen kann! So widmet sich die Ausstellung beispielsweise ausführlich seinen zahlreichen Besuchen der Ostseeinsel Fehmarn, die für ihn eine große Quelle der Inspiration darstellten. Teilweise wie eine Südseeinsel, mit reicher Flora und Fauna, nahezu paradiesisch mit leuchtenden Farbtönen: So stellt Kirchner seinen persönlichen Sehnsuchtsort dar. Seine Großstadtbilder stehen dazu in starkem Kontrast und setzen sich mit Themen wie der Industrialisierung, der Geschwindigkeit sowie dem wilden Nachtleben mit Prostituierten, Tänzern, Artisten und anderen Großstadtgestalten auseinander. Es ist sehr interessant, diese Orte der Inspiration gegenüberzustellen und Querverweise zwischen diesen auf den ersten Blick gegensätzlichen Gemälden herzustellen.
Darüber hinaus ist die Ausstellung für weitere Überraschungen gut: Dass Kirchner auch Entwürfe für Stoffe und Möbel anfertigte und sein Berliner Wohnatelier mit einer extravaganten Sitzecke ausstattete, hatte ich vorher nicht gewusst. Ebenso wenig, dass er nach zahlreichen psychischen Krisen für viele Jahre in den Alpen lebte und erst nach zahlreichen Entzugstherapien (Kirchner war morphiumsüchtig) wieder zur Kunst zurückfand. Alles in allem lohnt sich die Kirchner-Ausstellung im Zürcher Kunsthaus sehr. Wirklich gut aufbereitet und um einiges umfangreicher, als ich zunächst gedacht hatte.
Wer dann noch Energie hat, sollte sich auch die Dauerausstellung im Kunsthaus nicht entgehen lassen. Allein die Architektur des alten Gebäudes ist ein Traum. Darüber hinaus sind dort Werke bedeutender Künstler vom 16. – 21. Jahrhundert versammelt. Ob Alte Meister, niederländische und französische Malerei oder Rothko, Beuys, Warhol & Co. – allein hier könnte man einen ganzen Nachmittag mit Schauen und Staunen verbringen. Ich hab leider nur noch einen Schnelldurchlauf geschafft, aber ich komme bestimmt mal wieder.
Großstadtrausch/Naturidyll: Kirchner – Die Berliner Jahre
Kunsthaus Zürich
Heimplatz 1
CH–8001 Zürich
Di/Fr–So 10–18 Uhr
Mi/Do 10–20 Uhr
Noch bis zum 21.05.2017