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Literatur in 300 Wörtern (48): Kazuo Ishiguro – Was vom Tage übrig blieb

Kazuo Ishiguro - Was vom Tage übrig blieb

Inhalt in 3 Sätzen: Stevens dient seit 30 Jahren als Butler auf Darlington Hall. Als der neue Hausherr, der Amerikaner Mr. Farraday, einzieht, fordert dieser ihn überraschend dazu auf, sich eine paar Tage freizunehmen und eine Reise zu machen. Stevens ist zunächst skeptisch, begibt sich dann jedoch auf eine Fahrt quer durch England, bei der er zum ersten Mal seit langem über sein Leben und seine eigene Vergangenheit reflektiert.

Lieblingszitat: “Was haben wir schließlich davon, wenn wir ständig zurückblicken und uns Vorwürfe machen, weil aus unserem Leben nicht das geworden ist, was wir uns vielleicht einmal vorgestellt hatten? Tatsache ist doch jedenfalls, dass gewöhnlichen Leuten wie unsereinem kaum etwas anderes übrig bleibt, als ihr Schicksal letztlich in die Hände jener großen Herren an der Nabe dieser Welt zu legen, die uns in Dienst nehmen. […] Es genügt doch gewiss, dass unsereiner zumindest versucht, einen kleinen Beitrag von echtem Wert zu leisten.”

Die Hauptfigur, der distanzierte Butler Stevens, ist kein Sympathieträger. Gerade zu Beginn hatte ich große Schwierigkeiten mit diesem kaltherzigen Mann, der seine Gefühle gänzlich unterdrückt und nur für seine Arbeit lebt. Selbst die junge Hausangestellte Miss Kenton, die ohne Zweifel etwas für ihn empfindet, weist er brüsk zurück. Und doch gewinnt der Roman gerade durch diese gefühlsarme und nahezu apathische Hauptfigur an Fahrt. Mehr und mehr wird klar, dass Stevens seine besten Jahre einem Vorgesetzten geopfert hat, der in den 1930er und 1940er Jahren einen doch sehr zweifelhaften Ruf genoss. So spielte Lord Darlington bei den Verhandlungen zwischen Großbritannien und Nazideutschland eine entscheidende Rolle und erteilte auch in seinem Hause einige moralisch nicht ganz einwandfreie Befehle wie die Entlassung des jüdischen Personals. Stevens – auf seiner Reise durch England das erste Mal auf sich selbst und seine Gedanken und Erinnerungen zurückgeworfen, realisiert zunehmend mit großer Bitterkeit, welchen hohen Preis er für seine bedingunglose Ergebenheit bezahlen musste.

„Was vom Tage übrig blieb“ ist ein Roman über verpasste Gelegenheiten, blinden Gehorsam gegenüber Autoritäten, menschliche Kälte und ungelebte Leidenschaften.

Dieses Buch ist für Leser, die eine melancholischen Erzählung mit historischen Einschüben lesen möchten. Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro ist ein leiser und feinfühliger Roman gelungen, der zwar von einer vergangenen Epoche erzählt, aber dennoch eine moderne Problematik thematisiert – und zwar die berühmt-berüchtigte Suche nach der richtigen „Work-Life-Balance“.

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