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Literatur in 300 Wörtern (58): Michel Houellebecq – Karte und Gebiet

Michel Houellebecqs Gesellschaftsroman "Karte und Gebiet"

Inhalt von “Karte und Gebiet” in 3 Sätzen:

Houellebecqs Roman “Karte und Gebiet” handelt von einem aufstrebenden Künstler, dem bereits in jungen Jahren der Durchbruch in der Kunstszene gelingt: innerhalb kürzester Zeit erzielen seine Fotografien und Gemälde schwindelerregend hohe Geldsummen, die Kritiker und Frauen liegen ihm zu Füßen. Für seine neueste Ausstellung kontaktiert er den berühmten französischen Schriftsteller Michel Houellebecq, der für den Ausstellungskatalog ein Vorwort schreiben soll und im Gegenzug ein Porträt erhalten soll. Gerade als zwischen den beiden Künstlern eine zarte Freundschaft zu entstehen scheint, wird Houellebecq plötzlich ermordet in seinem Landhaus aufgefunden…

Lieblingszitat:

“Noch während er sich die Frage stelle, war ihm die Antwort schon klar, und er begriff, dass Franz die Sache richtig eingeschätzt hatte: ‘Michel Houellebecq, Schriftsteller’ würde sein letztes Bild sein. Vermutlich würde er noch Ideen für Bilder, Träumereien von Bildern haben, aber nie würde er die nötige Energie und Motivation aufbringen, um ihnen Form zu verleihen. Man kann sich immer – so hatte es Houellebecq gesagt […] – Notizen machen und versuchen, Sätze aneinanderzureihen; doch um wirklich mit der Niederschrift eines Romans zu beginnen, muss man warten, bis all das kompakt und unwiderlegbar wird, warten, bis ein harter Kern der Notwendigkeit auftaucht.”

Gesellschaftsroman? Künstlerroman? Zukunftsroman? Kriminalroman? In welches Genre man “Karte und Gebiet” auch einordnen möchte – mit diesem literarischen Werk ist Houellebecq definitiv ein großer Wurf gelungen. Von der Jugend bis zum Lebensende schildert er den Weg eines Künstlers und lässt ihn sogar seinem eigenen literarischen Alter Ego begegnen.

Der Wunsch nach Selbstverwirklichung, die Suche nach persönlichem Glück und die Unfähigkeit, zu lieben. Diese Houellebecq’schen Kernthemen spielen auch in diesem Roman eine zentrale Rolle. Denn auch, wenn der Protagonist sich in künstlerischer Hinsicht entfalten und viel Prestige mit seiner Kunst erreicht, findet er in seinem Leben keine Erfüllung. Denn er ist unfähig tiefe Beziehungen einzugehen und zieht sich sogar wie sein Seelenverwandter Houellebecq schlussendlich einsam auf ein Landgut zurück.

Mit  gewohnt pessimistischen und nahezu dystopischen Blick beschreibt und beobachtet Houellebecq in “Karte und Gebiet” die westliche Gesellschaft, zeigt ihre Entfremdung und Dekadenz auf. Wie in “Unterwerfung” richtet er den Fokus sogar auf zukünftige Entwicklungen, denn die Romanhandlung reicht etwa bis ins Jahr 2035. Vielschichtig, wahnsinnig spannend und zum Teil prophetisch: So lässt sich der Roman wohl am besten zusammenfassen. Interessant dabei: da der Roman aus dem Jahr 2010 stammt, sind einige Gesellschaftsprognosen von Houellebecq mittlerweile sogar eingetreten. Der französische Schriftsteller beweist somit wieder seine scharfe Beobachtungsgabe und seinen schonungslosen (und vorausschauenden) Blick für gesellschaftliche Entwicklungen.

Wem wird “Karte und Gebiet” gefallen?

Erstens natürlich allen Houellebecq-Fans. Ich selbst habe schon einige Romane von ihm gelesen und bedauere es fast, dass mir “Karte und Gebiet” erst jetzt in die Hände gefallen ist. Meiner Meinung nach ist dieser Roman aber auch gerade für Neulinge ein wunderbarer Einstieg in den Kosmos von Michel Houellebecq. Ein bisschen weniger Sex als in seinen anderen Romanen, dafür ein bisschen mehr Crime. Aber garantiert anspruchsvolle Unterhaltung mit Tiefgang – was will man mehr in diesen verrückten (Corona-)Zeiten?!

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