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Slow Traveling oder: Wie ich einfach mal loswanderte

Slow Traveling: Wandern zu Fuß von Berlin nach Lüneburg

Die Corona-Krise ändert vieles, vor allem Reisepläne. Natürlich ist es bitter, dass ich dieses Jahr wohl die eine oder andere Reise aufschieben muss, aber was hilft es den Kopf in den Sand zu stecken? Für meine (mittlerweile) alljährliche Geburtstagsreise musste also schnell ein anderes Ziel her – in Deutschland, denn die weltweite Reisewarnung, Quarantänepflicht in vielen Ländern sowie geschlossene Grenzen luden nicht gerade zu einer Reise ins Ausland ein.

In Ruhe also gegrübelt: Was wollte ich schon immer mal machen und wo konnte man so spontan noch hin? An der frischen Luft zu sein wäre auf jeden Fall gut (da dort keine Maskenpflicht herrscht). Irgendwo zu sein, wo keine oder nur wenig andere Menschen sind. Es wäre schön, irgendwohin zu reisen, wo der Kopf mal von dem ganzen Corona-Wahnsinn abschalten und zur Ruhe kommen kann. Wohin also? Wie wär’s mit einer Wanderung Richtung Hamburg?

Die Idee klang nicht nur verrückt, sie ist es sicher im Nachhinein auch nach wie vor. Denn ich habe in meinem ganzen Leben noch nie eine Fernwanderung gemacht, bin in Berlin eher mit dem Fahrrad und den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Aber länger als 2h am Stück zu Fuß laufen – mit Gepäck. Das würde sicher eine große Herausforderung werden. Gleichzeitig wirkte dieser Reiseplan jedoch auch aufregend, er klang nach Freiheit und Unabhängigkeit und danach, einfach dort Rast zu machen, wo es einem gefiel. Und das ganz nah, quasi von der eigenen Haustür aus und ohne mit dem Flugzeug irgendwohin zu fliegen. Mit anderen Worten: Dies hier sollte eine waschechte Reise ganz nach dem Motto “Slow Traveling” werden. Was ich von dieser besonderen Form des Reisens mitgenommen und welche Erfahrungen ich auf der Wanderung gen Nordwesten gemacht habe, lest Ihr jetzt hier:

Bewusster unterwegs: Beobachtungen am Wegesrand

Ob mit 100 km/h über die Landstraße zu brettern oder mit gemütlichen rund 4 km/h zu Fuß unterwegs zu sein: Das ist ein gravierender Unterschied, der sich auf jeden Fall auch in der Wahrnehmung der ganzen Reise niederschlägt. Im Vorbeigehen hat man viel mehr Gelegenheit, die Landschaft in Ruhe auf sich wirken zu lassen und auch Details am Wegrand wie blühende Mohnblumen oder Tiere in Wald und Wiesen (u.a. Kraniche, Störche, Rehe, Füchse, Wildschweine, Kühe…) zu beobachten. Auch hatte ich komischerweise während der gesamten Reise ein komplett anderes Zeitgefühl. Schon nach wenigen Tagen kam es mir so vor, als wären wir bereits seit Wochen unterwegs. An die Arbeit, den Alltag oder Corona habe ich während der insgesamt 9 Tage nur noch sehr selten gedacht – vielleicht auch, weil ich mein Handy fast den ganzen Tag über in meiner Tasche gelassen und den neuesten Nachrichten wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe.

Natur genießen: Geht am besten im Vorbeigehen.

Natur genießen: Geht am besten im Vorbeigehen.

Die größten Abenteuer passieren dann, wenn man sie nicht erwartet.

Gut, sicher keines der Abenteuer dieses Trips hätte ich mir jemals herbeigewünscht. Doch sie haben die Wanderung definitiv zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht. Sei es der Campingplatz, der keine Urlauber mit Zelt aufnehmen wollte und durch den wir notgedrungen abends einen Rufbus bestellen mussten, der uns schließlich aber auch trocken durch ein Gewitter brachte. Oder der Brand auf dem Campingplatz in Havelberg – ausgelöst durch einen Camper, der mit seinem Gaskocher versehentlich die Wiese anzündete. Oder die Horde Kühe, die uns bei Betreten ihres Reviers zunächst argwöhnisch beobachtete und uns dann grimmig über die halbe Weide verfolgte. Direkt in der Situation war das alles nicht so lustig, doch ich kann jetzt sagen: Auch im vermeintlich ruhigen Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen kann man was erleben!

Slow Traveling heißt: Reisen mit leichtem Gepäck & Minimalismus

“Leicht” ist natürlich rein subjektiv, denn auch auf meiner Reise mit Rucksack durften doch einige notwendige Dinge wie ein Schlafsack, eine Isomatte, Kleidung, Nahrung und Wasser nicht fehlen. Insgesamt ist der Vorteil einer solchen Wanderreise aber sicher, dass man um einiges weniger mitnimmt. Und erst so richtig realisiert, wie wenig man eigentlich wirklich braucht. Alles Wichtige in einem Rucksack – das ist erstaunlich wenig im Vergleich dazu, was man auf gewöhnlichen Reisen so mitnimmt (und später doch nicht benötigt).

Slow Traveling mit Rucksack an der Elbe

Slow Traveling mit Rucksack an der Elbe

Dankbarkeit & das Gewöhnliche wertschätzen

Wandern über längere Strecken macht demütig. Nicht nur wird einem mit einem Schlag bewusst, wie schnell man sich normalerweise mit Auto, Bus oder Flugzeug fortbewegt, auch hilft es definitiv dabei, ganz profane Dinge wertschätzen zu lernen. Die warme Mahlzeit am Abend, eine heiße Dusche, ein gutes Blasenpflaster, im Zelt vor Regen und Wind geschützt zu sein. Dies ist mir aber generell schon oft auf Outdoor-Trips aufgefallen: Es sind die vermeintlich für selbstverständlich gehaltenen Dinge, die einem plötzlich bewusst werden. Auch dass einen die Füße ständig von A nach B tragen und im Laufe des Lebens so viel Leistung für einen erbringen – das wird viel zu oft vergessen. Gesundheit ist ein hohes Gut – auch einer der Gründe, warum ich meinen Füßen dann während des Trips doch mal ein paar Pausen vom Wandern gegönnt habe. Dies sollte ja nun wirklich nicht meine letzte Wanderung gewesen sein…

Abschalten und Corona (fast) vergessen: Geht wunderbar in Brandenburg

Abschalten und Corona (fast) vergessen: Geht wunderbar in Brandenburg

Oberstes Gebot beim Slow Traveling: Der Weg ist das Ziel.

Hamburg war das grobe Ziel unserer Wanderung. Wir sind nie in Hamburg angekommen. Doch es nicht schlimm, dass wir nur bis Lüneburg gewandert sind. Ich habe auf dieser Reise eines gelernt: Es geht nicht darum, verbissen ein Ziel zu erreichen. Es zählen die Eindrücke, Erlebnisse, Begegnungen und Beobachtungen. Und es ist wichtig, auf den eigenen Körper zu hören. Dieser gab mir klar zu verstehen: “Du bist jetzt rund 200 km zu Fuß gelaufen, bist zu eigentlich völlig wahnsinnig geworden? Hör sofort auf!” Ich bin selbst überrascht, dass ich überhaupt so weit gekommen bin (zugegeben, ein paar Mal bin ich auf den Bus ausgewichen). Slow Traveling – eine spannende Erfahrung, die ich wohl so ganz ohne Corona wahrscheinlich nie gemacht hätte. Ich kann es jedenfalls jetzt kaum erwarten, bald wieder meine Wanderschuhe zu schnüren und mit dem Rucksack durch die Landschaft zu ziehen.

Habt Ihr schon mal Slow Traveling ausprobiert? Welche Erfahrungen habt Ihr beim Wandern gemacht? Ich freue mich über Eure Kommentare.

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