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Literatur in 300 Wörtern (63): Sven Regener – Glitterschnitter

Sven Regener führt mit “Glitterschnitter” seine sog. “Lehmann-Serie” fort und erzählt episodenhaft über die Erlebnisse der bereits dort entworfenen Figuren.

Inhalt von “Glitterschnitter” in 3 Sätzen:

Berlin-Kreuzberg, 1980: In der Wiener Straße versucht die Nachwuchsband Glitterschnitter (Schlagzeug, Synthesizer, Bohrmaschine) einen begehrten Platz auf einem Musikfestival zu ergattern. Gleichzeitig planen österreichische Künstler mit Vorliebe für Dosenbier einen alten Friseursalon namens “Intimfrisur” in ein Wiener Kaffeehaus umzuwandeln. Und mittendrin im ganzen Gewusel möchte Frank Lehmann im “Café Einfall” einfach nur guten Milchschaum machen.

Lieblingszitat:

“Raimund langweilte sich. In der Intimfrisur war jetzt schon die Luft raus, dabei war doch erst Soundcheck, wie sollte das erst heute Abend werden, wenn die jetzt schon alle so lustlos und abgeschlafft waren, die drei mexikanischen ArschArtler hatten ihre Pappinstrumente beiseite gelegt und ihre Sombreros abgenommen und saßen trübselig […] in der Ecke und tranken Bier; auf der Bühne stand immer noch P. Immel und plingplongte leise und melancholisch auf seinem Eierschneider herum, der allerdings, das musste Raimund zugeben, kein uninteressantes Musikinstrument war.”

Klingt skurril? Ist es zu 100 Prozent. Sven Regener führt mit “Glitterschnitter” seine sog. Lehmann-Serie fort und erzählt episodenhaft von den Erlebnissen der bereits dort entworfenen Figuren. Allesamt irgendwie schräge Künstlertypen und gescheiterte Existenzen, die in Kreuzberg in den Tag hinein leben, in Kneipen abhängen und über das Leben philosophieren. Zeitlich knüpft “Glitterschnitter” an den Vorgängerroman “Wiener Straße” an, der ebenfalls im Jahr 1980 und im Kiez rund um den Görlitzer Bahnhof spielt.

Verlorene Träume, schräge Typen – und ganz viel Kreuzberg-Nostalgie

Ob eine Ikea-Musterwohnung, die unverhofft zur Kunstinstallation werden soll, die fiesen Punks aus der Hausbesetzerszene oder die echten und falschen Österreicher, die von einer richtig guten Melange träumen. Der Roman strotzt nur so vor bizarren Geschichten, die nahezu filmisch erzählt werden wollen. So schwenkt der Erzähler mit seiner “Kamera” immer zwischen den einzelnen Figuren und Erzählsträngen hin und her und zeichnet ein abwechslungsreiches Bild dieser Kreuzberger “Aussteiger”, die nicht so recht in die bürgerlichen Welt hineinpassen wollen. Kreuzberg am Rande Westberlins, so der Eindruck, ein Ort wie kein anderer, an der alternative Lebenskonzepte gelebt werden konnten.

Wem wird “Glitterschnitter” gefallen?

Eingefleischte Sven Regener-Fans haben den Roman sicher längst auf ihrer Lektüreliste. Das wage ich jetzt mal zu behaupten, auch wenn “Glitterschnitter” meine erste Lektüre dieses Autors war. Ansonsten wird das Buch sicher allen gefallen, die sich nach der langen düsteren Lockdown-Zeit nach unterhaltender Literatur sehnen und beim Lesen mal wieder ausgiebig lachen wollen. Die Figuren in diesem Roman sind herrlich komisch, wenn auch zugleich den ganzen Roman eine zarte Melancholie und West-Berlin-Nostalgie durchzieht. Eine wunderbare Mischung! Perfekt, um es sich in diesem Herbst auf dem Sofa mit Tee und Decke bequem zu machen. Und von einem Kreuzberg zu träumen, dass es so wohl nie mehr geben wird.

Ich danke Galiani Berlin herzlich für das Rezensionsexemplar.

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