„Wir sind doch erwachsen und können über alles vernünftig reden“, äußert eine Figur am Beginn des Films. Dass die vier vorgestellten Erwachsenen es nicht können, zeigt sich in den folgenden 80 Minuten heftigen emotional geladenen Schlagabtauschs. Eine Rauferei zwischen zwei Schuljungen, bei der einer dem anderen zwei Schneidezähne demoliert hat, führt die beiden Elternpaare Nancy (Kate Winslet) und Alan Cowan (Christoph Waltz), Penelope (Jodie Foster) und Michael Longstreet (John C. Reilly) zusammen. Einen gemeinsamen Bericht für die Versicherung wollen sie verfassen, eigentlich eine Sache von 10 Minuten, doch die Besprechung ufert aus. Denn: jeder will das letzte Wort haben und keiner sieht ein, auch nur eine Spur von seinen Absichten und Weltanschauungen abzurücken.
Dass hier zwei Welten aufeinander treffen, wird einem schon in den ersten Minuten des Films klar. Da ist auf der einen Seite der karrieregeile und schmierige Anwalt Alan, der alle paar Minuten mit seinem Handy telefoniert und damit alle entnervt. Seine Frau, die kontrolliert und distanziert wirkende Nancy, ist Investmentbankerin und scheint sowohl beruflich als auch privat immer alles unter Kontrolle haben. Auf der anderen Seite ist schließlich das loyal und vernünftig wirkende Ehepaar Longstreet: Michael, ein Verkäufer von Haushaltsartikeln, der immer wieder vermitteln möchte und seine Frau Penelope, die Weltverbesserin, die krampfhaft ihr Ideal des konfliktfreien Zusammenlebens zu verwirklichen versucht. Alle haben jedoch eins gemeinsam: Im Laufe des immer hitziger werdenden Streitgesprächs werden alle ihre Hüllen fallen lassen, all ihr gutes Benehmen und antrainierte Höflichkeitsgesten ablegen.
Und das alles ist herrlich komisch! Mit ihren individuellen Eigenheiten, kleinen Ängsten und fiesen Sticheleien bringen die Figuren einen immer wieder zum Lachen. Die schauspielerischen Leistungen sind hervorragend. Besonders die Art und Weise, wie Christoph Waltz den arroganten und desinteressierten Anwalt mimt, ist sehr unterhaltsam. Dieser berät nebenbei einen Klienten, einen fragwürdigen Pharmakonzern, wie man bei einer Anklage wegen eines schädlichen Medikaments am besten vorgeht („Leugnen, leugnen, leugnen! Bloß kein Schuldeingeständnis!“). Aber auch die anderen Schauspieler spielen ihre Rollen mit sehr viel Intensität und einer gehörigen Portion Verbissenheit, die man wohl an den Tag legen muss, um die Streitereien authentisch wirken zu lassen.
Auch die Beziehungskonstellationen sind gut ausgearbeitet und sehr glaubhaft. Während anfangs die Fronten eindeutig geklärt sind: Ehepaar gegen Ehepaar, beginnen sich diese Sympathien im Laufe des Films immer weiter zu verschieben, bis die Ehepartner sich selbst gegenseitig mit Worten zerfleischen. Plötzlich gibt es neue Allianzen, die jedoch auch nur von kurzer Dauer sind. Die Männer verbrüdern sich bei einem guten Gläschen Whiskey und einer Havanna-Zigarre, während die Frauen sich über die Blödsinnigkeit ihrer Männer echauffieren. Letztendlich kämpft in diesem New Yorker Löwenkäfig aber doch jeder für sich alleine – für seine Ideale und sein Weltbild.
Sehr kurzweilig ist der Film zudem auch. Als der Abspann lief, überkam mich ein Gefühl der Enttäuschung: „Was, schon vorbei?“ Ich hätte den Sticheleien und kleingeistigen Streitereien schon noch ein Weilchen zugucken können, so unterhaltsam waren diese! Für mich ist Roman Polanskis „Der Gott des Gemetzels“ definitiv ein brilliant gespieltes Kammerspiel, das man sich auf jeden Fall einmal (oder sogar mehrmals!) ansehen sollte. Ein Highlight des Kinojahres 2011!
5 KOMMENTARE
[…] Seit Donnerstag ist der neue Film von Roman Polanski im Kino. In „Der Gott des Gemetzels“ (adaptiert nach einem Theaterstück von Yasmina Reza) liefern sich vier brilliante Schauspieler einen packenden und nervenaufreibenden Schlagabtausch. Meine Rezension lest ihr jetzt im Farbfilmblog. […]
Ein köstlicher Film. Habe mich selten so amüsiert.
[…] 2011. Tiefschwarzer Humor, ausgeklügelte Dialoge, großartige Schauspieler! Wunderbar! Hier geht’s zur […]
Sehr gute Filmkritik!! 😉 Ich hatte davor erst nicht so wirklich Lust, mir den Film anzusehen. Aber allein bei der Besetzung kann man gar nicht Nein sagen. Der Film ist wirklich sehr sehenswert. Habe schon lange nicht mehr so viel im Kino gelacht.
[…] Kammerspiel „Der Gott des Gemetzels“ zählt spätestens seit der genialen Verfilmung von Roman Polanski zu meinen absoluten Lieblingstheaterstücken. Eigenartig nur: ich habe das Stück in Buchform […]