Literatur Rezensionen

Sándor Márai: Die Glut

41 Jahre lang haben sich die beiden ehemals besten Freunde Konrád und Henrik nicht gesehen. Nun ist es unerwartet wieder soweit! Konrád, der damals aus unerfindlichen Gründen Hals über Kopf vorm Militärdienst in die Tropen flüchtete, hat sich zum Besuch auf Henriks prachtvollem Jagdschloss angekündigt. Was war der wahre Grund für das Zerwürfnis der beiden engen Jugendfreunde? Welche Rolle spielte Krisztina, Henriks junge Frau, für sie beide? In einer einzigen Nacht führen die beiden alten Männer ein nervenaufreibendes und klärendes Gespräch, das sich um existentielle Fragen der Schuld und Sühne, Lüge und Wahrheit, Verrat und Treue dreht…

Bei Sándor Márais Roman „Die Glut“ handelt es sich ohne Zweifel um eine sehr fordernde und gedankenintensive Lektüre. Die beiden Hauptfiguren fühlen ihre eigene Sterblichkeit und wissen um die Tatsache, dass der Moment für eine Aussprache unweigerlich gekommen ist. Márai gelingt es, eine nahezu gespenstische und kammerspielartige Atmosphäre zu erzeugen, die einen als Leser in ihren Bann zieht. Von Anfang an wird die enge Freundschaft der beiden Männer detailreich beleuchtet, eine Freundschaft, die einer Seelenverwandtschaft gleichkommt. Es fallen Sätze wie „Vom ersten Augenblick an lebten sie zusammen wie eineiige Zwillinge im Mutterleib“ oder „Ihre Freundschaft war so ernst und so wortlos wie alle großen Gefühle, die für ein Leben gelten.“

Konrád und Henrik unterschieden sich zwar deutlich voneinander: Henrik, der Ehrgeizige, der aus gutem Hause stammend eine militärische Karriere einschlagen wollte. Konrád, der sensible Künstler, der sich so gar nicht für das Militär zu eignen schien und stattdessen ganz für die Musik lebte. Dennoch schienen diese Gegensätze ihrer Freundschaft nicht zu schaden. Umso drängender wird im Laufe der Erzählung die Frage, was die beiden Seelenverwandten auseinander bringen konnte. War es verletzter Stolz und Neid auf Seiten Konráds, der seinem Freund seine höhergestellte gesellschaftliche Position missgönnte? Schlummerten unter der Fassade der augenscheinlich sehr engen freundschaftlichen Beziehung unausgesprochene Konflikte, die früher oder später zu Tage treten mussten?

Während des langen Gesprächs werden zahlreiche tiefgründige Fragen angesprochen: Was ist der Sinn des Lebens? Was macht eine gute Freundschaft aus? Wo fängt Verrat an? Wie viel Wahrheit, wie viel Lüge hält eine enge Beziehung aus? Interessanterweise entwickelt sich der anfangs von beiden Figuren getragene Dialog immer mehr zu einem Monolog Henriks, der über seine Sicht der Dinge redet, sich die Wahrheit zusammenreimt und seinen ehemals besten Freund gar nicht zu Wort kommen lässt. Vielleicht sogar absichtlich, um sein eigenes Weltbild, das er sich in jahrzehntelanger Einsamkeit mühsam aufgebaut hat, nicht zu gefährden?

Autor der leisen Töne: der ungarische Schriftsteller Sándor Márai (*1900, † 1989)

Sándor Márai schildert dies alles mit einer beeindruckenden sprachlichen Finesse und schafft es von der ersten Seite an, das Interesse an den beiden geschilderten Figuren immer weiter zu steigern. Auch die streckenweise überaus monologreichen Passagen lesen sich spannend und beweisen Márais Talent mit wenigen Mitteln viel zu erreichen. Reduktion statt Überfrachtung lautet das Stichwort. Sándor Marai ist ein Autor der leisen Töne. Bei seinem Roman „Die Glut“ handelt es sich ohne Frage um einen sehr intimen, gefühlsintensiven und nicht zuletzt ausgesprochen lebensklugen Roman. Es lohnt sich sehr, dieser leisen Erzählung einmal seine volle Aufmerksamkeit zu schenken.

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