Kaum zu glauben, aber obwohl ich schon fast mein ganzes Leben in Berlin wohne und mich ja eigentlich zu den Filmfans zähle, habe ich es leider fast noch nie zur Berlinale geschafft. Keine Zeit, keine Tickets bekommen, nicht in der Stadt gewesen – es gab viele Gründe dafür. Doch zur Berlinale 2018 sollte das endlich anders werden. Ich war gleich in drei Berlinale-Filmen. Hier möchte ich auf diese in kurzer und knackiger Form zurückblicken.
Auf der schiefen Bahn: La terra dell’abbastanza / Boys Cry
Darum geht’s: Zwei junge Römer auf Abwegen: Eines Nachts fahren die beiden Jungs Mirko und Manolo mit dem Auto durch die Gegend – einen kurzen Moment sind sie unaufmerksam und dann ist es passiert: Sie haben einen Fußgänger überfahren und tödlich verletzt. Die Kurzschlussreaktion: Fahrerflucht. Zunächst verzweifelt und hilflos fahren sie zu Manolos Vater, um sich Rat zu holen. Dieser macht sich zunächst wenig Sorgen, da es anscheinend keinerlei Augenzeugen zu geben scheint. Dann wendet sich jedoch wenige Tage später nach dem Vorfall unverhofft das Blatt: Mirko und Manolo haben wohl unwissentlich einen wichtigen Mafia-Gangster getötet und könnten dies – so die spontane Idee von Manolos Vater – sehr gut für ihren Vorteil nutzen, um endlich ihren doch sehr prekären Verhältnissen in einem trostlosen römischen Vorort zu entkommen. Mirko und Manolo erfüllen weitere blutige Aufträge – und finden sich schneller als sie gucken können in einem Milieu aus Gewalt, Drogen und Prostitution wieder. Die beiden Jungs sind beflügelt von ihrem plötzlichen Erfolg als Gangster – übersehen dabei aber völlig, in welcher Gefahr sie dabei laufend schweben…
So war’s: Temporeich erzählt „La terra dell’abbastanza“ von seinen zwei Protagonisten, die den gleichen Traum von einem besseren Leben träumen und für diesen bereit sind, alles zu tun – mag es auch moralisch verwerflich sein. Die Kamera ist stets nah dran an den Emotionen der Hauptfiguren und zeigt sehr eindrucksvoll jede Regung in ihrem Gesicht. Gerade zu Beginn wird deutlich gemacht, mit welchen schweren Schuldgefühlen die beiden zurechtkommen müssen. Gleichzeitig macht der Film jedoch auch ohne moralischen Zeigefinger bewusst, wie leicht Jungs aus prekären Verhältnissen auf die falsche Bahn abrutschen. „La terra dell’abbastanza“ ist in jedem Fall ein gelungenes Debüt der beiden Brüder D‘Innocenzo. Wäre schön, wenn es der Film in das reguläre Kinoprogramm schaffen würde.
Bio-Pic mit Joaquin Phoenix: Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot
Darum geht’s: John ist Alkoholiker, lebt in den Tag hinein und hat ansonsten eine große Vorliebe für anrüchige Witze. Sein Leben verläuft in gewohnten Bahnen, bis er sich eines Nachts von einem Kumpel zu einem Sauftrip mit Folgen überreden lässt. Am Ende des feuchtfröhlichen Abends wacht John schwerverletzt im Krankenhaus auf. Diagnose: Querschnittslähmung von der Hüfte abwärts. Von nun an sitzt er im Rollstuhl. John fällt in ein tiefes Loch, verkriecht sich in seiner Wohnung und greift noch häufiger zur Flasche als gewohnt. Bis er sich eines Tages dazu aufrafft, ein Treffen der Anonymen Alkoholiker zu besuchen. Vor allem die Begegnung mit dem charismatischen Mentor Donny regt John dazu an, sein Leben wieder in die Hand zu nehmen und nochmal von vorne anzufangen.
So war’s: Was zunächst nach einer Story mit großem Kitsch-Potential klingt, ist erstaunlich „unkitschig“ umgesetzt worden. Joaquin Phoenix verkörpert den zynischen Alkoholiker mit großer Überzeugungskraft. Die Rolle des antriebslosen Alkis nimmt man ihm auf der Stelle ab. Leider hat das Drehbuch einige Schwachstellen. Oft hat man das Gefühl, dass Regisseur Gus van Sant etwas viele Themen in seinem Film unterbringen wollte. Das Thema Behinderung wird zwar auf beachtlich leichte und sogar humorvolle Art und Weise behandelt, an anderer Stelle tendiert der Film dann aber leider doch eine Spur zu sehr in Richtung derber Klamauk und Oberflächlichkeit. Zudem verzettelt sich das Drehbuch etwas mit all den kleinen Nebenhandlungen wie Johns Suche nach seiner Mutter oder seinem wachsenden Erfolg als Cartoon-Zeichner. Vielen Nebenfiguren mangelt es zudem an wirklicher Tiefe. Handlungsentwicklungen wie Johns Romanze mit der bildhübschen jungen Flugbegleiterin Annu (Rooney Mara) sind wenig glaubwürdig – auch dadurch, dass zum Beispiel das Entstehen dieser Beziehung nicht wirklich erläutert wird. Warum sollte sich so eine attraktive Frau gerade mit diesem Alki abgeben?
Und am Schluss der sehr vorhersehbaren Handlung wird der Film dann einfach einen Tick zu „amerikanisch“. So muss John natürlich in der Öffentlichkeit eine Rede über das Überwinden seiner Alkoholsucht halten… In wie viel amerikanischen Filmen hat man das schon gesehen…! Insgesamt sicher kein schlechter Film, dann hat er aber doch ein paar Längen zu viel und wirkt häufig etwas unentschieden.
Leben im Überfluss: Generation Wealth
Darum geht’s: Die Extravaganzen reicher Menschen zu dokumentieren und deren Streben nach Reichtum und Überfluss einzufangen: Dieser Aufgabe widmet sich die amerikanische Fotografin Lauren Greenfield bereits seit rund 25 Jahren. In ihrem Bildband und gleichnamigen Dokumentarfilm „Generation Wealth“ präsentiert sie die Dekadenz amerikanischer Milliardäre, russischer Oligarchen und chinesischer Finanzleute – und macht mit ihrem umfassenden Werk beginnend in den 1980er Jahren deutlich, welche extremen Züge die Genusssucht und der hemmungslose Materialismus in westlich orientierten Gesellschaften mittlerweile trägt. Selbst die, die schon alles haben und deren einzige größte Sorge morgens zu sein scheint, welche Luxus-Handtasche sie heute zum Chanel-Kostüm kombinieren sollen, streben nach immer mehr, können nicht genug bekommen. Die Dokumentation zeigt anhand von sehr prägnanten Beispielen, welche Ausmaße die Gier nach Geld und Einfluss mittlerweile angenommen hat. Der Fokus liegt hierbei vor allem auf der Stadt der Stars, Los Angeles. Hier ist Greenfield selbst aufgewachsen und konnte bereits in ihrer Jugend die Dekadenz ihrer Nachbarn beobachten.
So war’s: Kurzweilig und dabei sehr schockierend, ohne Frage. Viele gezeigte Szenen lassen einen lediglich ratlos den Kopf schütteln. Sicherlich sind viele der im Film präsentierten Einzelschicksale sehr extreme Beispiele. Aber vielleicht auch gerade deshalb verfehlt der Film seine Wirkung nicht. Ob das Schicksal eines ehemaligen Hedgefond Managers aus Deutschland, der schließlich sogar durch seine Geschäfte in einem italienischen Gefängnis landete, die Geschichte einer 6-jährigen Schönheitskönigin, die von ihrer ehrgeizigen Mutter angetrieben wird oder einer Frau, die sich durch ihre vielen Schönheitsops massiv verschuldete – „Generation Wealth“ zeigt nicht nur die schillernde Oberfläche, sondern auch das Leid, das die Überflussgesellschaft dem Einzelnen bringen kann. Ehrgeiz und die Gier, es nach ganz oben zu schaffen, erzeugt Druck und Ängste. Psychische Probleme, die sich etwa in Essstörungen oder Depressionen äußern, sind in dem gezeigten Umfeld keine Seltenheit.
Ein gelungener Dokumentarfilm mit drastischen Bildern, der noch eine ganze Weile zum Nachdenken anregt. Denn auch, wenn Amerika hier der Hauptschauplatz ist, kommt einem zu großem Erschrecken einiges (wenn auch in abgemildeter Form) sehr bekannt vor…
Was war Euer Berlinale-Highlight? Welcher Film hat Euch am meisten beeindruckt, welcher enttäuscht? Freue mich über Eure Statements.
2 KOMMENTARE
Hallo Du,
Langfilme habe Ich noch nie auf der Berlinale geguckt. Ich gehe immer nur zu den Kurzfilmen. Am liebsten zu denen aus der “Generation Kplus“ – es fasziniert mich immer wieder, wie Filmemacher aus verschiedenen Ländern die Probleme der Jugend darstellen und einfangen.
Zudem kosten die Blocks nur 4€ und man kann bis zu 8 verschiedene Filme gucken.
Mein Highlight von den Kurzfilmen war “Juck“ – filmisch, szenisch und ..In jeglicher Hinsicht beeindruckend. Es ist eine Doku zu der Tanzgruppe “Juck“ aus Schweden.
(:
Dieses Jahr habe ich es aber leider nur zu zwei Vorstellungen (Kplus) und einmal Shorts geschafft und dann auch noch zweimal den gleichen kplus-Block geguckt, weil ich so beeindruckt war.
Hey, danke für deinen Kommentar. Die Kinder/Jugendfilme hatte ich bisher noch gar nicht so auf dem Schirm. Dann nächstes Jahr vielleicht mal 😉